zane and ophelia (and grace) ♦ 08.04. ♦ 11 Uhr Abends

when the night

is coming down on you
We will find a way
through the dark

Zane and Ophelia (and Grace), 11 pm, 08.04

Eigentlich hatte Ophelia geplant, den heutigen Abend auf der Couch zu verbringen und sich unzählige, sinnlose Filme reinzuziehen, doch anstatt auf der Couch zu liegen, stand sie am Ende des kleinen Kiesweges, welcher zu dem Haus ihres Onkels führte und wartete ungeduldig auf einen Freund, der sie eigentlich bereits vor zehn Minuten hatte abholen wollen. Tyler hatte vor knapp einer Stunde bei ihr angerufen und ihr vorgeschlagen spontan mit ihm auf eine Party zu kommen, die wohl irgendein Bekannter von ihm veranstaltete und Ophelia war schon seit Ewigkeiten auf keiner Feier mehr gewesen, weshalb sie kurzerhand zugesagt hatte. Zum wiederholten Male wanderte ihr Blick die Straße hinauf, doch Tylers Auto war weit und breit nicht zu sehen. Glücklicherweise war das Wetter heute auf ihrer Seite und es regnete ausnahmsweise mal nicht, sonst wären ihre Klamotten mittlerweile komplett durchnässt.
Gerade als sie Tyler anrufen wollte, bog ein Auto in ihre Straße ein und Ophelia erblickte kurze Zeit später ihren Freund an dessen Steuer. Kaum dass das Auto vor ihr zum Stehen gekommen war, öffnete sie die Beifahrertür und ließ sich auf den Sitz sinken, während sie Tyler mit einem einfachen "Hi." und dem Anflug eines Lächelns begrüßte. Erst als sie saß bemerkte sie, dass sich auf der Rückbank noch eine weitere Person befand, von der Tyler während ihres kurzen Telefonats gar nichts gesagt hatte: "Oh, ich wusste gar nicht, dass wir noch jemanden mit nehmen." - "Hey du. Wie soll ich sagen? Es gibt eine... klitzekleine Planänderung. Das ist Zane, Zane, das ist Ophelia.", stellte Tyler die beiden einander vor, während er das Auto startete: "Zane und ich haben uns überlegt, dass es doch mal interessant wäre, dem Schloss Valkyrien einen kleinen Besuch abzustatten." Bei seinen Worten weiteten sich Ophelias Augen: Das verstand er unter einer 'klitzekleinen Planänderung'? "Euch ist schon bewusst, dass das Schloss auf einem Berg steht, man gefühlte 10 Kilometer durch einen Wald laufen muss und es fast mitten in der Nacht ist?" Noch dazu kam, dass nur wenige Personen jemals das Schloss betreten hatten und dass man eigentlich gar nicht wirklich wusste, was in dem Schloss vor sich ging.

Welcher Bewohner dieser Ortschaft wollte nicht mal in die Nähe dieses Schlosses kommen, sei es auch nur um die makaberen Gerüchte über die Eigentümer zu entkräften? Nicht, dass Zane besonders viel auf den Scheiß gibt, den sich die tratschenden Weiber bei Kaffee und Kuchen erzählen oder sein Onkel aufschnappte und ihm abends an die Backe laberte. Mehr als ein reicher Schnösel mit Menschenscheue wird schon nicht dahinterstecken, aber wer weiß, was sich in der näheren Umgebung findet? Eine Möglichkeit unbemerkt einzusteigen und dem Deppen alle möglichen Wertsachen aus dem Haus zu klauen – vielleicht. Daran dachte er zu Beginn. Nachdem Tyler aber gesagt hatte, dass er seine Freundin so oder so mitschleppen würde, hatte er diesen Plan schnell verworfen. Nichts würde ihn mehr anpissen als von einer Frau bei der Polizei verraten zu werden, trotzdem – Tyler bestand darauf und deshalb hat er sich seinem nervigen Schicksal ergeben und hörte auf sich darüber zu beschweren.
Als er endlich in die richtige Straße einzubiegen schien, hielt Zane Ausschau nach der besagten Freundin und oh, là là, Tyler hatte nicht gelogen. Zane lehnte sich wieder auf der hinteren Sitzbank zurück, so gerne er sich auch weiter nach vorne gebeugt hätte, um die kleine Schönheit aus der Nähe zu sehen, aber sie hatte ihn nicht mal bemerkt und somit – packt man das charmanteste Lächeln halt erst aus, wenn sie es tat und der Höflichkeitsmist gegessen war. “Hey, keine Sorge, wir passen schon auf dich auf.“, mehr oder weniger. “Uns wird schon niemand fressen.“, das war zumindest seine Überzeugung und sie hatten ja reichlich Zeit um gründlich darüber nachzudenken. Wenn die Süße kniff, okay. Wenn Tyler kniff, auch okay. Aber Zane würde das Ganze bis zum Ende durchziehen, ganz egal was es ihn kostet. Also.. wenn er danach ein paar Tage den Wald meiden würde und sich etwas unpässlich im Dunkeln fühlte, in Ordnung, aber sein Leben setzte er dann doch nicht komplett aufs Spiel. “Und wenn uns doch ein Monster verfolgt, werfen wir ihm Tyler zum Fraß vor.“, so einfach wäre das. Wenn einer an diesem Abend über seine eigenen Füße stolperte, dann doch bitte Tyler.

Zugegeben: Ophelia hatte sich auch schon mehrere Male gefragt, was es wohl mit dem ganzen Mysterium um das Schloss auf sich hatte. Dennoch wäre sie nie auf die bekloppte Idee gekommen, ausgerechnet Nachts eine Expedition dorthin zu unternehmen. Vermutlich würden sie im Endeffekt nur um die Mauern herumlaufen, weil es viel zu dunkel war um a) zu erkennen ob es möglich war die Mauer hoch zu klettern, weil sie niedriger war als an anderen Stellen oder b) ein Loch in der Mauer zu finden, durch das sie sich hindurchquetschen konnten. Denn einer Sache war sich Ophelia sicher: Der Besitzer des Schlosses hatte am heutigen Tage sicher keinen Tag der offenen Tür verordnet und alle Tore, Türen oder sonst was waren fest verschlossen, um ungebetene Besucher fern zu halten. "Wenn du Tyler ähnlich bist, muss ich euch beide sicherlich am Ende beschützen und nicht umgekehrt." Dass Tyler ein ziemlicher Angsthase sein konnte, hatte Ophelia schon vor einiger Zeit heraus gefunden, schließlich kannte sie ihn nicht erst seit gestern und die beiden hatten schon so einige spontane Ausflüge hinter sich. Jedoch schien sein Kumpel Zane vom ersten Eindruck her nicht so zu ticken, wie Tyler selber, was vermutlich gut so war - ein Tyler war meist schon anstrengend genug. Zanes Vorschlag dem Monster, das es vermutlich nicht einmal gab, Tyler zum Fraß vor zu werfen, entlockte der Blonden ein leichtes Lachen: "Da bin ich auch für. Obwohl Ty sicherlich schrecklich schmeckt." Dieser verdrehte nur seine Augen und schien nicht einmal versuchen zu wollen, sich zu verteidigen. War auch besser so.

Etwa eine Viertelstunde später parkte Tyler den Wagen neben dem Waldrand und die drei stiegen aus. Ophelia ließ - möglichst unauffällig natürlich - für einen kurzen Moment ihren Blick über Zane gleiten, von dem sie im Auto nicht allzu viel hatte erkennen können. "Hättest du kein kurzes Kleid anziehen können, Ophelia? Dann hätten wir zwischen all den Bäumen wenigstens noch was interessantes zu gucken gehabt." War ja klar, dass so ein Kommentar früher oder später über Tylers Lippen kommen musste. "Ha. Ha. Willst du, dass ich erfriere oder was?" Seine Antwort hörte sie gar nicht mehr, weil ihr Blick zu den hohen, dunklen Bäumen wanderte. Man konnte wirklich nichts erkennen. "Habt ihr wenigstens Taschenlampen oder so mitgebracht?" Mit dieser Frage richtete sie sich eher an Zane, weil sie fast schon davon ausging, dass Tylers Intelligenz nicht ausreichte um an so etwas wie Taschenlampen bei einer Wanderung mitten in der Nacht zu denken.

Wo bleibt denn sonst der Nervenkitzel? Da am Tag hinzugehen wäre langweilig und hatte den ätzenden "Beigeschmack" eines lausigen Spaziergangs, als wären sie alle über 60 Jahre alt. Dabei standen ihnen noch einige Jahrzehnte zur Verfügung, wenn sie sich heute Nacht nicht aus Dummheit das Genick brachen. “Wir sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht.“, wahrscheinlich verstanden sie sich deshalb so gut. Tyler war ein Volltrottel und gut genug um sich ab und an zu amüsieren, mehr nicht. Keinem seiner "Freunde" würde er Kohle, sein Leben, sein Mädchen oder etwas anderes anvertrauen. Und dem hier schon gar nicht. Aber hey, zu jeder Kritik musste man irgendetwas positives hinzufügen und Tylers Fall war es die Beziehung zu Ophelia. Und das wird ihm angerechnet, nicht besonders hoch, aber besser als nichts. “Wahrscheinlich.“, zum Thema schrecklich schmecken.

Nachdem sie am Waldrand angekommen und ausgestiegen waren, warf Zane einen prüfenden Blick auf die dicht beieinander stehenden Stämme und schnalzte ungalant mit der Zunge. Aber nicht ohne Tyler einen Seitenblick zuzuwerfen und sich das dreckige Grinsen zu verkneifen. Halbwegs. Als sein Freund, Kumpel, was auch immer, musste er ihm zustimmen. Überhaupt würde es ihn sicher vollkommen über die verpasste Chance zum Einbruch hinwegtrösten, wenn er sehen könnte, was unter der Klamotte lag und auch wenn er sich es beinahe vorstellen konnte, war die Realität sicher um einiges besser. “Taschenlampen?“, vorsorglich hatte er die Tür auf seiner Seite offen gelassen und griff kurz in das dunkle Innere des Autos, um dann zwei Taschenlampen von den Sitzen zu griffeln. “Ersatzbatterien sind in meiner linken Hosentasche. Die darfst du dir dann gerne selbst holen.“, was wahrscheinlich nicht passieren wird, weil sie vor kurzem erst ausgewechselt worden sind. Soweit er wusste. Eine wird also der Blondine gereicht und er hielt das Ende der schwarzen Taschenlampe einen kurzen Moment länger fest. Einfach, um einen genauen Blick in das Gesicht werfen zu können, ehe er sie losließ und die andere behielt. Tyler würde sie irgendwann noch auf einen Stein fallen lassen. “Nach dir, Sweety.“, sehr heldenhaft die Frau vorausgehen zu lassen, aber er hatte etwa den gleichen Gedanken wie Tyler und ihm war es egal, ob sie ein kurzes Kleid trug oder nicht. Erst nach einem anerkennenden Schmunzeln wäre er bereit ihr nachzudackeln, ganz brav und natürlich ohne Hintergedanken.

So unterschiedlich wie Tag und Nacht also. Ob das gut war oder eher schlecht konnte Ophelia zu diesem Zeitpunkt noch nicht beurteilen, immerhin war Tyler ja nicht total beschissen. Im Grunde genommen war er ja wirklich ein netter Kerl, vorausgesetzt er versuchte nicht mit irgendwelchen armseligen Anmachsprüchen bei ihr zu landen, weil.. nein. Einfach nein. Manchmal fragte Ophelia sich, wann er endlich mit eben diesen Sprüchen aufhören würde - heute jedenfalls nicht. Ophelia ging nicht einmal groß auf sein Kommentar bezüglich des kurzen Kleides ein, es lohnte sich ja ohnehin nicht.
Wenn sie so den dunklen Wald vor sich betrachtete, breitete sich in ihr wirklich nicht gerade das beste Gefühl aus, was sie jedoch den beiden anderen nicht mitteilte. Jetzt würde sie auf keinen Fall mehr einen Rückzieher machen, das wäre ja Blamage pur. Außerdem interessierte sie sich ja wirklich für das Schloss und es kam nicht gerade häufig vor, dass sich jemand freiwillig auf Erkundungstour begab. Glücklicherweise hatte Zane tatsächlich an Taschenlampen gedacht, was die ganze Situtation um einiges besser machte, denn so konnten sie den Weg vor sich wenigstens ein bisschen erkennen. "Alles klar.", antwortete sie auf seine Ersatzbatterie-Erklärung und beschloss innerlich definitiv nach den Batterien zu fragen, wenn sie diese brauchte und nicht einfach in seine Hosentasche zu greifen - das konnte ganz schnell ganz falsch aufgefasst werden.
Ophelia nahm die Taschenlampe entgegen und bedankte sich, ehe sie diese anschaltete und ein paar Schritte auf den Wald zumachte. Als Zane ihr dann auch noch den Vortritt ließ, warf sie den beiden ihren 'Hab ich doch gleich gesagt'-Blick zu: "War ja klar, dass ihr mehr Angst habt als ich." Ohne zu zögern betrat Ophelia den dunklen Wald, gefolgt von den beiden 'Helden'. Theoretisch mussten sie doch einfach.. gerade aus hoch gehen oder nicht? Genau das machten sie auch für einige Minuten, in denen absolute Stille herrschte, bis Ophelia versehentlich auf einen Ast trat, welcher ein ziemlich lautes Knacksen von sich gab, was dazu führte, das Tyler komplett durchdrehte: "Habt ihr das gehört?! Leute, vielleicht.. vielleicht sollten wir doch zurück gehen." Mit einem Grinsen drehte Ophelia sich zu den beiden um und leuchtete Tyler mit der Taschenlampe leicht ins Gesicht: "Keine Panik Ty, ich bin nur auf einen Ast getreten. Wenn ihr beide aber zu viel Ansgt hier draußen habt, können wir auch gerne umkehren." War ja klar, dass Tyler mal wieder wegen nichts in Panik geriet.

Er sah das Ganze mit der typischen "fuck it"-Einstellung an und sprang einfach auf den Zug auf. Nicht nur wegen des Schlosses, auch in Bezug auf diese behinderte Anmache von Tylers Seite aus, die Zane im Grunde zwar unterschieb – ein kurzes Kleid und die Aussicht auf ein Höschen oder am Besten ohne eines – andererseits jedoch fast als peinlich ansah und mit dem Wald vor der Nase auch recht zügig wieder vergaß.
Er fragte sich, wie lange sie wohl brauchen werden um durch diese Hölle aus Ästen, Blättern, Moos und Zirpen kleiner Insekten zu kommen – der Abend war damit sowieso gegessen und je nach dem wie das Ende ausfiel, würde sich auch wahrscheinlich niemand mehr dazu überreden lassen auf die ausgelutschte Kinderparty zu gehen, wie ursprünglich geplant. Aber erstmal der Lady den Vortritt lassen und mit dem Angsthasen folgen. “Was immer du sagst.“, wenn Zane vor etwas Angst hatte, dann den Rest seines Lebens in einer winzigen Zelle zu versauern und sich das Bett mit irgendeinem fetten Kinderschänder teilen zu müssen. Aber das wird niemals passieren, nicht solange er seine Spuren ordentlich verwischte und alleine seinen Kram machte und nicht auf andere Vollidioten bauen musste, dass sie die Schnauze hielten.
Bei der einkehrenden Stille hätte er sich seine Kopfhörer gewünscht und den nächsten Titel auf seiner Playlist für ... Beschäftigungen außerhalb der Norm. Und nachts zu einem von Gerüchten verseuchten Schloss zu gehen, hatte nichts normales an sich. Nicht wirklich jedenfalls. Das Knacken des Astes hatte nicht mal zu einem kurzen Zucken seiner Mundwinkel geführt, Tyler hingegen sprang beinahe auf den nächsten Baum und Zane zweifelte allmählich daran, dass er je als Kerl auf die Welt hat kommen sollen. Stattdessen ist ihm ein Teil zu viel gewachsen. “Fuck, kannst du aufhören dich wie eine Pussy zu benehmen?“, er würde lachen wenn es nicht so deprimierend wäre und verließ die Position als nachdackelnder, treudoofer Hund und nahm Ophelia den Posten an der Spitze ab. “Bleib mal bei deiner Freundin, Tyler. Wenn nochmal ein Ast bricht, kannst du ihr auf die Arme springen.“, und nicht ihm. Mit der Taschenlampe in der rechten Hand und auf eine dichte Baumgruppe vor ihnen gerichtet, schüttelte er in einem Anflug von Fassungslosigkeit den Kopf und machte sich dran den Weg weiterzugehen. Und dabei auf so viele Äste wie möglich zu treten, natürlich in einem gewissen Abstand.